«Aus einzelnen Erkenntnissen eine stimmige Gesamtlösung erarbeiten»
Weshalb sind die höheren Fachschulen wichtig?
Rémy Hübschi: «Kein Abschluss ohne Anschluss» ist ein zentraler Grundsatz in unserem Bildungssystem. Wer eine berufliche Grundbildung abschliesst, findet dank der höheren Berufsbildung (HBB) attraktive Weiterbildungsmöglichkeiten auf der Tertiärstufe vor. Dazu zählen auch die Bildungsgänge der höheren Fachschulen. Pro Jahr erwerben schweizweit rund 9700 Personen einen eidgenössisch anerkannten Abschluss eines HF-Bildungsganges. Diese Fach- und Führungsleute sind bestens qualifiziert und auf dem Arbeitsmarkt gefragt. Die HF sind ein Trumpf für den Werkplatz Schweiz, zu dem wir Sorge tragen müssen.
Seit den 1990er-Jahren ist auf der Tertiärstufe einiges in Bewegung geraten. Ich denke an die Gründung der Fachhochschulen, die Stärkung der Berufsmaturität, aber auch an die Einführung des totalrevidierten Berufsbildungsgesetzes BBG im Jahre 2004 und damit verbunden das Herauskristallisieren der höheren Berufsbildung. Davon profitiert die Berufsbildung: Wer heute eine berufliche Grundbildung wählt, dem stehen alle Karrierewege offen. Und insbesondere mit den HF und der höheren Berufsbildung insgesamt ist sichergestellt, dass man sich auf Tertiärstufe auch ohne Maturität weiterbilden kann. Das stärkt die Berufsbildung und entlastet zugleich den Hochschulbereich.
Aus Sicht der HF besteht heute Handlungsbedarf zum einen aufgrund der zunehmenden Akademisierung und Internationalisierung des Arbeitsmarkts. Der Wert der bewährten HF-Abschlüsse wird in diesem Umfeld nicht mehr überall genügend anerkannt. Zudem sehen sich die HF in Konkurrenz mit den Fachhochschulen. Als die Fachhochschulen aufkamen, entstand im Tertiärbereich eine starke Dynamik, von der die höheren Fachschulen nicht im gleichen Umfang profitieren konnten. Zu berücksichtigen ist auch, dass die HF-Landschaft breitgefächert ausgestaltet ist. Diese Flexibilität ist ein grosser Vorteil, können doch so die Interessen der verschiedenen Branchen und Regionen berücksichtigt werden. Dies wirkt sich im Gegenzug aber auf die Strukturen aus: Von den rund 260 Anbietern weisen knapp 90 Anbieter weniger als 25 Abschlüsse pro Jahr auf.
Was wurde bisher unternommen zur Stärkung der höheren Fachschulen?
Mit dem BBG wurden seitens Bund die höhere Berufsbildung und damit auch die höheren Fachschulen gestärkt. Die HBB wurde auf der Tertiärstufe klarer positioniert – als Teil der Tertiärstufe mit eigener Zielsetzung und eigenen Strukturen in Abgrenzung zu den Hochschulen. Weiter wurden gestützt auf das BBG die Mindestvorschriften für die Bildungsgänge HF vereinheitlicht, welche letztmals 2017 überarbeitet wurden. Bei dieser Revision wurde der Fokus auf die Stärkung der Arbeitsmarktorientierung und die Qualitätssicherung gelegt. Erwähnenswert ist auch die Interkantonale Vereinbarung über Beiträge an die Bildungsgänge der höheren Fachschulen (HFSV), der seit 2015 alle Kantone angehören.
Die HF haben aber auch von der generellen Stärkung der höheren Berufsbildung profitiert. Seit 2013 setzen sich Bund, Kantone und Organisationen der Arbeitswelt (OdA) mit der Zukunft der gesamten HBB auseinander. So wurden in dem vom Bundesrat lancierten Strategieprojekt bereits diverse Massnahmen zur Stärkung der HBB umgesetzt, beispielsweise die subjektorientierte Finanzierung für vorbereitende Kurse auf eidgenössische Prüfungen, der Nationale Qualifikationsrahmen NQR, englische Titelbezeichnungen oder die Erhöhung der Durchlässigkeit. Doch nun braucht es weitere Schritte und Massnahmen. Deshalb hat der Vorsteher des Eidgenössischen Departements für Wirtschaft, Bildung und Forschung, Bundespräsident Guy Parmelin, das SBFI Ende 2020 mit einer ganzheitlichen Überprüfung der Positionierung der höheren Fachschulen beauftragt.
Wie geht das SBFI im Projekt «Positionierung HF» vor?
Als erstes haben wir eine breit angelegte Studie zur Situation der HF im Rahmen der Initiative «Berufsbildung 2030» in Auftrag gegeben. Der Schlussbericht von econcept AG wurde im Sommer 2020 publiziert. Er bietet eine breit abgestützte Übersicht über den Stand der Positionierung sowie über Handlungsfelder und Herausforderungen aus Sicht der betroffenen Akteure. Die drängendsten Handlungsfelder der HF liegen gemäss Bericht in der fehlenden Bekanntheit und im fehlenden Ansehen der Ausbildungen in Gesellschaft und Arbeitsmarkt sowie in der mangelnden Anschlussfähigkeit.
Es ist wichtig, dass wir aus diesem Befund ein Gesamtbild machen. Denn viele Fragen und Lösungswege hängen nicht nur eng zusammen, sondern beeinflussen sich gegenseitig und dies ganz unterschiedlich. Ein Beispiel für eine solche Wechselwirkung ist die Frage nach der Anerkennung der HF. Wenn wir die Institutionen anerkennen würden, so stellen sich verschiedene Fragen: von der Steuerung und Aufsicht über die Finanzierung bis hin zur Positionierung auf Tertiärstufe.
Was bedeutet das für das weitere Vorgehen?
Unser Ziel ist es, dass die HF weiterhin eine starke und zukunftsfähige Position haben. Deshalb untersuchen wir, wie wir die HF-Abschlüsse ins Bildungssystem optimal einbetten können und wie wir mit den Schnittstellen zu anderen Bildungsbereichen, beispielsweise zu den Hochschulen, umgehen. Weiter prüfen wir die strukturellen Merkmale der HF-Landschaft. Wichtig ist auch die Bekanntheit der HF-Abschlüsse und -Institutionen auf nationaler und internationaler Ebene. Ist ein «Professional Bachelor» beispielsweise der richtige Weg?
Bleiben die eidgenössischen Berufs- und höheren Fachprüfungen aussen vor?
Nein. Wir nehmen eine Gesamtbetrachtung vor. Und dazu zählt auch die Frage, wie sich Massnahmen zugunsten der höheren Fachschulen auf die höhere Berufsbildung insgesamt auswirken. Wenn die Berufsbildung auch künftig eine wichtige Rolle im Schweizer Bildungssystem spielen soll, dann brauchen wir eine starke HBB – und damit meine ich höhere Fachschulen und eidgenössische Prüfungen.
Was ist das Besondere an der Projektorganisation?
Bei diesem Projekt geht es um die höheren Fachschulen. Es geht aber auch um die höhere Berufsbildung. Und ebenso stellen sich viele Fragen, welche die Hochschulen betreffen. Wir haben deshalb einen breiten Ansatz gewählt, bei dem wir sowohl die Berufsbildungsakteure wie auch die Hochschulgremien einbeziehen.
Die Abstimmung mit den betroffenen Akteuren ist für uns zentral. Hier setzen wir auf ein Sounding Board mit Mitgliedern der OdA und der HF-Konferenzen sowie Vertretungen der Kantone und der Absolventinnen und Absolventen. Wir werden dabei regelmässig Zwischenergebnisse zur Diskussion stellen. Auch mit weiteren Gremien der Berufsbildung und der Hochschulen, beispielweise der Tripartiten Berufsbildungskonferenz und der Hochschulrektorenkonferenz swissuniversities, sind wir in Kontakt und werden Ergebnisse regelmässig zur Stellungnahme vorlegen. Das SBFI lässt sich zudem von einer unabhängigen Expertengruppe als beratendes Organ mit Mitgliedern aus Wissenschaft und Forschung, Wirtschaft, Politik und Verwaltung begleiten. Bei einem Thema, bei dem viele divergierende Interessen im Spiel sind, braucht es auch einen unabhängigen Blick von aussen und eine systemische Perspektive.
Was wollen Sie bis Ende 2021 erreicht haben?
Wir sind zurzeit daran, eine Auslegeordnung zu erstellen und die einzelnen Fragen vertieft zu prüfen. Beispielsweise möchten wir noch mehr wissen über die Struktur der HF-Landschaft und haben deshalb eine Studie in Auftrag gegeben.
Letztlich wird es darum gehen, aus vielen Einzelaspekten ein Gesamtbild zu erhalten. Wir werden deshalb ab Sommer mögliche Modelle entwickeln. Für mich sind dies Gesamtpakete, über die man dann diskutieren kann. Denkbar ist beispielsweise, dass man in einem Modell das Kriterium der Arbeitsmarktorientierung noch stärker gewichtet. Das hätte dann Konsequenzen. Ein anderes Modell wäre eine stärkere Betonung der HF als Institutionen. Ein Bericht zum Projektstand sowie die Terminplanung für nachfolgende Meilensteine sind für Ende 2021 vorgesehen.
Interview aus SBFI News 3/21